Teil 15 - Freispruch oder Knast?
Da stand ich nun, vor der Panini-Zentrale in Stuttgart, dem ehemaligen Gebäude des Dino Verlags, den Panini übernommen hatte. Ich dachte, jetzt bin ich dran, von wegen Copyright und so. Immerhin hatte ich zahlreiche Abbildungen als Bildzitate verwendet. Das ist bei Titelbildern von erschienenen Comics kein Problem. Anders sieht es bei freigestellten Figuren aus. Und davon waren jede Menge im ersten Heft. Der Hulk auf dem Cover und auf der Rückseite, Spider-Man, Thor, Namor der Sub-Mariner, die Rächer usw. Mit Dracula als literarischer Figur wäre ich vielleicht noch durchgekommen, aber auch die abgebildeten ganzen Comicseiten aus Williams- und bsv-Heften waren problematisch.
Steffen Volkmer führte mich an Frank Zomberdijk vorbei in einen großen Besprechungsraum, wo unter anderem Toni Verdini und Max Müller platznahmen. Oje, oje, dachte ich. Das war’s mit der Schreiber-Karriere. Handschellen, Knast, Strafzahlungen…
Gottseidank entpuppte sich das Ganze als Vorstellungsgespräch für den Posten als Nachfolger von Steve Kups (der allerdings nicht genannt wurde, aber ich konnte mir zusammenreimen, um wen es ging). Leider kamen wir nicht wirklich zusammen, da das Angebot zwar interessant war. Hey, ich hätte bei Marvel Deutschland gearbeitet! Aber ein immenser Aufwand mit Betreuung des Panini-Forums, der Redaktionsseiten in den Heften und weiteren zeitintensiven Sachen gewesen wäre. Das stand in keinerlei Relation zu den Verdienstaussichten. Denn als "freier Mitarbeiter" wäre ich nicht aus der Hartz 4-Falle rausgekommen. Schweren Herzens musste ich sagen, dass das nicht geht. Vollzeitjob Tag und Nacht, private Krankenversicherung etc. Das hätte ohne staatliche Zusatzleistungen nicht funktioniert.
Panini hatte mich nun zwar unter Beobachtung, ließ mich aber weiterhin gewähren. Denn ein Schaden entstand nicht wirklich. Im Gegenteil, aktuelle klassische Veröffentlichungen wie Dracula (Marvel Horror), Spider-Man komplett oder die Marvel Exklusiv-Bände hätte mancher Leser und Käufer ohne die Hinweise im Nuff-Magazin sicherlich nicht mitbekommen. Und diese Klassiker lagen alle im hochpreisigen Segment.
Vom Nuff Hulk-Cover der Nr. 1 hatte ich auch Postkarten drucken lassen. Das hatte ich bis zum Schreiben dieser Zeilen ganz vergessen. Zumal es davon keine mehr im Archiv gibt. Von der Bestellkarte der Zweitauflage mit dem Sub-Mariner Titelbild sind noch ein paar wenige Exemplare vorhanden. Zehn davon hatte ich an Marvel-Zeichner und Altmeister Gene Colan geschickt, die er unterschrieben zurücksendete. Zusammen mit einem Zweitauflagenheft und einer Nr. 2, auf der er die Rückseite mit der Werbung für Nr. 3 (Daredevil-Cover) signieren sollte.
Das hatte er offenbar nicht richtig verstanden und unterschrieb auf der Vorderseite bei den Fantastischen Vier, gezeichnet von Jack Kirby. Lustig, dass so etwas Ähnliches Jahre später in einer Folge der TV-Serie "Big Bang Theory" übernommen wurde. Dort sollte Stan Lee Hefte von DCs Superhelden Superman und Batman (vielleicht auch Flash oder Green Lantern) unterzeichnen, denn das wären dann wertvolle Unikate, die sonst keiner hat. Gute Idee, Sheldon Cooper!
Gerhard Schlegel kolorierte auch die Nr. 3. Leider war er noch nicht fertig, als die Nr. 2 mit der Ankündigung auf der Rückseite in Druck ging, weshalb das Motiv auf die Schnelle nur cremefarbig unterlegt werden konnte. Das tatsächliche Produkt sah dann aber toll aus. Die Idee mit dem Wendecover, jeweils im bsv- und Williams-Stil, entstand, um die Einheitlichkeit der Cover zu gewährleisten. Ich packte das Vorwort auf die hinterste Innenseite auf den Kopf gestellt und baute einen Querverweis zum Manga-Boom, wo die Comics tatsächlich von hinten nach vorne gelesen werden müssen, ein.
Dass die Entscheidung für die Magazin-Form, trotz aller Vorab-Kritik von außen, die richtige war, zeigte die Interaktion mit den Lesern. Insbesondere der Marvel-Pass von Williams war bis dato ein Mysterium, das keiner meiner Bekannten aus der Sammler- und Händlerszene gesehen, geschweige denn in Händen gehalten hatte. Auf einmal erhielt ich zahlreiche Mails mit Fotos der Pässe und auch den einen oder anderen Brief mit Fotokopien eines Originals mit dem Bild und der Unterschrift des jeweiligen Besitzers.
Das dritte Heft zeigte im Innenteil u.a. die Eröffnungsseite von "Batrocs Blitzkrieg" aus Tales Of Suspense #85. Ich hatte den geletterten Text aus dem betreffenden Kung Fu-Taschenbuch in das schwarzweise Originallayout eingesetzt, inklusive besserer Platzierung und entsprechenden Textumbrüchen, da ich die Präsentation im Taschenbuch mit zwei-drei sich überlappenden Panels im Zweifarbdruck, einfach furchtbar fand. Verständlich, dass ich nicht nur eine, sondern alle zehn Seiten der Captain America-Story in dieser Form bearbeitet hatte. So fehlte auch kein Panel mehr. Leider zeigt das Originalcover Iron Man, der sich in den USA Tales Of Suspense mit dem Cap teilte. Da es sich um einen einzelnen Zufallstreffer handelte, denn der Williams Verlag brachte keine weiteren Abenteuer des US-Patrioten, passte das Titelbild von Tales Of Suspense #75 auch ganz gut.
Din A3-Farbkopien und -Ausdrucke waren schweineteuer. Um mein eigenes Heft zu finanzieren, suchte ich neun Gleichgesinnte, um die Herstellungskosten zu decken. Im nahegelegenen Copy-Shop produzierte ich zwölf Exemplare, wovon eines auf irgendwelchen obskuren und nicht nachvollziehbaren Wegen in den USA gelandet ist und auf einer Website als Bootleg-Edition vorgestellt wurde. Für 2005 konnte sich das Ergebnis durchaus sehen lassen.
Die restlichen Hefte verschwanden in den Sammlungen und sahen nie das Licht der Öffentlichkeit. Außer meinem eigenen Exemplar blieb kein Gewinn. Die Arbeitsstunden, die darin steckten, konnte ich auch nirgendwo abrechnen. Aber ich hatte ein Cap-Heft nach meinen eigenen Wünschen. Ab in die Kiste, damit bloß keiner das handgetackerte, selbstgefalzte und selbstgeschnittene Teil sieht. Alle klassischen Marvels in dieser Form zu haben, oder zumindest die seltenen oder außer der Reihe erschienenen, wäre ein Traum. Das ist allein in einem Leben vermutlich nicht zu schaffen.
Teil 16
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