Montag, 28. Januar 2019

Wie alles begann… Die Vision

Teil 10 - Es kommt in Form
Wohl oder übel ging ich stempeln. Natürlich war die 3-Zimmer Mietwohnung zu teuer. Aber die Reform von Peter Hartz ließ mir sechs Monate Zeit, mir eine eventuelle neue Bleibe zu suchen. Ich musste meine Finanzen offenlegen. Gut, dass ich außer einer Lebensversicherung nichts Weiteres hatte. Leider wurde die damals zur Vermögensfeststellung angerechnet, wie auch mein alter VW Golf. Eigentlich pervers, man darf kein Auto haben, soll aber gleichzeitig mobil und flexibel für Vorstellungsgespräche und mögliche Arbeitsplätze sein. Heute ist das etwas anders, aber zum damaligen Zeitpunkt war das so.

Ich löste die Lebensversicherung auf und auf die Frage: "Haben sie eine Sammlung? Gemälde, Kunst?" antwortete ich fast wahrheitsgemäß. Nicht, dass die mir jetzt noch meine schöne Spinne Nr. 1 von Williams wegnehmen. Der Hauptteil der Sammlung war ja nur bunt bedrucktes Altpapier. Das Amt zahlte also die Miete, die Heizkosten und ein Taschengeld, das gerade so zum Überleben reicht. Immerhin war ich GEZ-befreit. Und mit der Arbeitslosenbescheinigung konnte ich vergünstigt ins Schwimmbad, was ich ausgiebig nutzte. Da der Sprit teuer war, wünschte ich mir von meinem Dad eine Generalüberholung meines alten Mountainbikes zum Geburtstag. Ich glaube, so sportlich wie in diesem Jahr war ich nie wieder unterwegs. Denn der Jahrhundertsommer stand vor der Tür.


Jetzt hatte ich so gut wie gar kein Geld mehr. Gut, dass ich nicht rauchte, aber das riss es auch nicht raus. Thilo Sarrazins theoretische Ausgabenrechnung haut bei einem Single nicht hin. Wenn ich Wurst im Kilopack kaufe, verdirbt sie. Ich kann mir die Scheiben nicht auf vier Wochen einteilen. Hatte ich früher beim Einkauf nicht auf die Preise geachtet, so war der Lidl-Prospekt jetzt mein bester Freund. Döner, Fritten oder sonstigen Fast-Food-Kram sah der Hartz 4-Satz nicht vor. Ich begann, selbst zu kochen und Reste portionsweise einzufrieren. Die alte Liebherr-Kühl-/Gefrierkombination hatte ich von meinem Vormieter ausgelöst und die drei Gefrierfächer waren Gold wert.

Was ich nun hatte, war Zeit. Zeit zum Nachdenken, Zeit für sportliche Aktivitäten und Zeit zum Schreiben. Aber auch Zeit für fixe Ideen. Während mich die Sorge um meine Zukunft nachts nicht schlafen ließ, ging mir die Vorstellung der geplanten "Marvel-Bibel" in Heftform durch den Kopf. Die Williams-Redaktions- und Vorschauseiten hatte ich durch die Zerlegung der Sammelbände ebenfalls separat gesammelt. Marlies Gersons Version von "Ne Menge Marvels nächsten Monat, meint Hulk!" ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Insbesondere der Hochglanzabdruck auf der Rückseite von Planet der Affen.

Das musste das Cover werden. Mit rosa Williams-Signet und den Williams-Erstausgaben in den Händen des Hulk. Ich durchsuchte meine Marvel Essentials nach der Splashpage von Gil Kane und wurde fündig. Jetzt brauchte ich noch einen Titel, der hängenblieb und eine Figur fürs Signet. Spider-Man oder andere bekannte Marvel-Helden wären das, was andere genommen hätten. Ich wollte etwas Besonderes. Da fiel mir der Looter ein. Steve Ditko hatte ihn in einem Abschlusspanel vorgestellt und ähnlich gezeichnet wie John Romita sr. den Spider-Man im Kasten der farbigen Hit Comics. Dazu hatte der bsv Stan Lees "Nuff said!", etwa: Genug geplaudert! vollkommen falsch  übersetzt. "Das sagte Nuff!", das war es.


Während meines morgendlichen Schwimmens und Radfahrens feilte ich gedanklich am Inhalt und Aussehen des ersten Nuff-Hefts. Ein erster schwarzweißer Prototyp war relativ schnell fertig. Entgegen aller Meinungen hatte ich mich für die Heftform statt einem Buch entschieden. Und das in Zeiten rückläufiger Auflagenzahlen im Printbereich. Journalisten verloren ihre Jobs, manche Tageszeitungen fusionierten oder wurden ganz eingestellt. Vor allem die Verfügbarkeit aktueller News im Internet stellte die Branche auf den Kopf.

Egal, ich hatte Zeit und außer Bewerbungen schreiben nichts anderes zu tun. Skeptiker wie Jörg, der inzwischen zu einem guten Freund geworden war, auch wenn wir uns nicht wirklich sahen, sondern per Telefon und Email kommunizierten, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen.

Teil 11
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Wie alles begann… Marvels seitenweise

Teil 9 - Keine Solidarität unter Sammlern?
Durch die kopierten Hit Comics und zerlegten Marvel Superbände stellte ich fest, dass es viel einfacher war, die Einzelseiten für benötigte Abbildungen zu scannen. Auch ergab es für mich Sinn, nach den Originalserien zu sammeln. Verrückt wie ich war, stellte ich mir die für mich passende, stets greifbare Sammlung zusammen. Beispiel gefällig? Fantastic Four #1 aus dem Marvel Essential-Band herausgetrennt und mit Bleistift am Rand gekennzeichnet bzw. nummeriert. Die Eröffnungsseite vorne und das Cover nach hinten. Danach ein Backingboard zur Stabilisierung und gegenläufig von der anderen Seite die Comicseiten aus Die Fantastischen Vier Nr. 1 und 2 von Williams. Das gleiche Spiel bei Daredevil bzw. Der Dämon. Und jeweils in einer Comic-Schutzhülle in Short-Boxen aufbewahrt.

Da die FV und DD sich oft die Übergangsseiten teilten, wenn die erste Story auf Heftseite 2 statt 3 begann, brauchte ich natürlich jedes Heft zweimal zum korrekten Zerlegen. Auf die Idee dazu kam ich durch meinen kompletten Silberstürmer. Die anfangs 40seitigen Abenteuer von Norrin Radd teilte Williams meist in drei Fortsetzungen auf. Umständlich, wenn man dazu drei-vier Thor-Hefte vorblättern muss. Die Einzelseiten konnte ich prima zusammenlegen und in einem Rutsch durchlesen. Auch verschlechterte sich dadurch der Zustand nicht, wie es bei der Spinne-Sammlung der Fall gewesen wäre.


Und die Klammern in den Heften hinterließen manchmal winzige Kratzspuren an der Glasoberfläche des Flachbettscanners. Auch ragte nicht immer ein Teil des Hefts heraus und es war möglich zu scannen, ohne dass jede zweite Seite bei der Digitalisierung durch die Drehung auf dem Kopf stand. Zudem kam ich nicht in Versuchung, die Sachen wieder zu verkaufen, denn so waren sie für Otto Normalsammler wertlos. Meinen alten HP-Scanner hatte ich mittlerweile durch einen wesentlich besseren von Epson getauscht, bei dem die Voreinstellungen richtig gut waren. Keine Vorschau mit 150dpi, die ewig dauert und der tatsächliche Scan in gleicher Auflösung dann nochmal so lange braucht.

Der Epson-Twain Treiber ermöglichte eine Unterdrückung des Moiré-Effekts und bei s/w-Scans eine tatsächlich ein- bzw. zweifarbige Darstellung mit wesentlich höherer Auflösung. Deshalb bin ich immer noch Fan davon und verfluche Windows 10, das den alten Treiber nicht anerkennt und ich mir demnächst ein neues Gerät kaufen muss, wenn ich etwas Farbiges einscannen möchte. Nein, ich habe Scanner Nr. 2 schon lange nicht mehr, aber eher aus Platzgründen nach Jahren des Einsatzes ausgetauscht. Natürlich gegen einen anderen von Epson. Ich will keine Werbung machen, aber das ist wie bei Autos. Meinen Audi A3 würde ich auch nicht gegen meinen alten VW Polo oder Ford Fiesta tauschen wollen.

Wie auch immer, mein Bedarf an Marvel Superbänden wuchs. Der Superhelden-Hype der Jahrtausendwende hatte alles teuer gemacht. Viele Sammler waren aber inzwischen auch komplett und tauschten lediglich Hefte in schlechtem Zustand gegen Bessere aus. Oder sie suchten sich neue Sammelgebiete wie Sammelbände und deren Inhaltsvarianten. Da gibt es kein Ende - und was will der Sammler mehr?


So entstand bei Ebay ein Grüppchen von Individuen, die immer wieder auf ähnliche Auktionen boten. Ich erlaube mir mal trotz des Datenschutzgesetzes ein paar Namen anzudeuten: Stefan S., Holger V., Roland K., Robert H., Markus Z. und noch zwei-drei andere. Die vollständigen Namen sind aber ohnehin in der Szene bekannt und entweder im Netz oder in der einschlägigen Sekundärliteratur zu finden.

Wenn man sich ständig gegenseitig hochbietet, muss zwangsweise ein Kontakt und eine andere Strategie oder Absprache stattfinden. Und schwupps, hat man den einen oder anderen Tauschpartner gefunden. Leider läuft es nicht bei allen so glatt und der Wettbewerb schreitet voran. Nichtsdestotrotz erweiterte sich meine Loseblattsammlung ständig und das Ziel "Williams komplett aus Sammelbänden" schien greifbarer als das Buchprojekt. Die Z0-1 Spinne-Hefte wurden jedenfalls nicht mehr angefasst, außer im Notfall. Eine Nr. 1 ohne Umschlag hatte ich von meinem Filmfreund bekommen. Abgesehen vom fehlenden Cover war das Ding toll erhalten. Auch hier hatte ich ein 50 EUR-Gebot abgelehnt. Stattdessen trennte ich die elf Seiten Spidey von den Tales Of Asgard und dem Sub-Mariner und tütete jeden Teil separat mit den dazu passenden Marvel Essential-Seiten ein.

Etwa zur selben Zeit schickte ich nach einem Telefonat mit Panini-Übersetzer Reinhard Schweitzer zehn von mir übersetzte Probeseiten aus einem damals aktuellen Avengers-Heft an seine Adresse. Ich weiß noch, dass er sie gut fand. Auch deshalb, weil ich den Text direkt in die Sprechblasen gesetzt und ausgedruckt hatte. Vermutlich war der Zeitpunkt schlecht, da von der Redaktion keine weitere Rückmeldung kam. Reinhard Schweitzer bestätigte aber, dass er sie an die zuständige Obrigkeit weitergegeben hatte.

Ich fühlte mich langsam wie "Theo gegen den Rest der Welt" und meine Gedanken kreisten weiter…

Teil 10
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Wie alles begann… Kontraste

Teil 8 - Warum eigentlich schwarzweiß?
Hier muss ich zugeben, dass ich nie vorhatte, farbige Abbildungen zu bringen. Inspiriert von den schwarzweißen Thor-Motiven in "Das Große Buch der Comics" von Wolfgang J. Fuchs und Reinhold Reitberger, malte ich mir bildlich im Kopf den Inhalt meiner künftigen "Marvel-Bibel" aus. Die Zeichnungen von Jack Kirby, Gene Colan, John Buscema, John Romita sr., Steve Ditko usw. wirken einfach am besten pur ohne Farbe. Das kommt schon nahe an Originalzeichnungen ran. Deshalb beeindrucken mich die frühen Hit Comics nach wie vor.

Die Marvel Essentials boten oftmals keine wirkliche Alternative. Denn viele Seiten waren nicht optimal eingescannt und wiedergegeben oder stammten von US-Nachdrucken, bei denen Graustufen statt richtigem Schwarzweiß eingesetzt wurden. Auch manche Originaldruckfilmfolien liefen nach unten hin schief. Da hatte wohl der Zahn der Zeit ziemlich genagt. Fasziniert von den niederländischen Hip Comics streckte ich meine Fühler in andere Länder aus. Da gab es z.B. das Marvel Annual von Fleetway aus dem Jahr 1973 und andere, sogar noch frühere UK-Hardcover, in denen die ersten Comics von Hulk, Spider-Man und Konsorten gestochen scharf abgedruckt wurden. Da konnten die Amis mit ihrem minderwertigen Papier und Druck nicht mithalten.


Power Comics, Alan Class, das sah richtig gut aus. Wobei die einen durchscheinendes Papier und die anderen, nennen wir es eine Art schmutzigen "Vintage-Druck" hatten. Beides nicht optimal, aber dennoch ziemlich beeindruckend. Teilweise wurde auch der Text angepasst, wenn die Personen wie z.B. Rick Jones zu sehr dem US-Slang verfielen. Die Briten korrigierten die Schreibweise nach strengem Oxford-Standard. Newton in Australien präsentierte seine Marvel Comics ebenfalls grenzwertig. Richtig gut, aber sauschwer zu bekommen waren die dänischen Marvels von Interpresse. Dort erschienen u.a. das vom bsv ausgelassene Daredevil #58 und das erste Daredevil Annual in wunderschönem Schwarzweiß. Zweiteres leider verteilt über vier Ausgaben als Fortsetzungsgeschichte plus Marvel-Pin Up in der Folgenummer.

Für meine geplanten Buchabbildungen brauchte ich genau solches Material. Ein reines Lesewerk wie "Tales To Astonish - Jack Kirby, Stan Lee And The Revolution Of Comics" von Ronin Ro kam keinesfalls in Frage. Das Buch kann ich zwar Jedem wärmstens empfehlen, aber es enthält leider keinerlei Abbildungen, welche die Story veranschaulichen würden. Ich sammelte und scannte jeden schwarzweißen Marvel-Schnipsel, den ich auftreiben konnte. Besonders mochte ich es, wenn die Figuren bereits freigestellt ohne Hintergrund abgedruckt worden waren, wie in vielen Fanzines.


Während meine Schulzeit sich dem Ende neigte, machte sich ein wenig Frust breit. Einerseits war ein Ende des Buchprojekts nicht abzusehen, andererseits konnte ich jobmäßig nirgends Fuß fassen. Zwar erklomm ich stets erste Hürden und wurde zu Vorstellungsgesprächen und Probearbeitstagen eingeladen, hatte aber das Nachsehen, wenn es um die geforderte Berufserfahrung im Grafik-Bereich ging. Der Verleger eines Motorrad-Magazins zog statt mir eine Dame mit zehn Jahren Grafik-Erfahrung vor, ein Apotheken-Schaufenster Deko-Betrieb nahm lieber jemand überqualifizierten, der in Berlin Design studiert hatte und eine Agentur, die Kataloge für die Rollladen-Branche erstellte, fand offenbar auch einen besser passenden Mitbewerber.

Wie oft kam ich unter die letzten zwei-drei Bewerber und wurde jedes Mal ausgestochen. Das Heavy-Magazin nahm mich als Nr. 2 von drei in der Endrunde als freien Mitarbeiter, während die ausgeschriebene Festanstellung anderweitig vergeben wurde. Und dank zeitlicher Verfügbarkeit durfte ich kurzfristig bei einer Agentur einen Brillenkatalog setzen, weil eine Grafikerin aus gesundheitlichen Gründen ausfiel.

Zehn Jahre lang hatte man Mediengestalter ausgebildet, weil überall Grafiker fehlten. Ausgerechnet als ich mit der Ausbildung fertig war, stürzte die Branche in ein Tief. Werbeetats wurden gekürzt und unsere Nachfolgeklasse bestand nur noch aus sechs Leuten. Schöne Aussichten! Eine freie Tätigkeit kam für mich nicht in Frage. Auch meine Klassenkameraden setzten nicht unbedingt den eingeschlagenen Weg fort. Der Eine machte in Musik, eine Andere arbeitete anschließend im Reisebüro und einer übernahm den Copy-Shop seiner Mutter. Bei den anderen weiß ich es nicht mehr. Aber nur ganz wenige blieben im grafischen Bereich. Zwei gründeten eine Firma und verlagerten sich auf das Erstellen und Programmieren von Internetseiten und meine Nebensitzerin gestaltete in Selbstständigkeit Webseiten und Flyer für kleinere, lokale Unternehmen. Alles nicht das Gelbe vom Ei.

Mit dem Abschlusszeugnis in der Tasche begann ich zu sinnieren…

Teil 9
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